Der mittelalterlicheBefestigungsring der Stadt Schwerte

Der hier abgedruckte Aufsatz entstand zum Anlaß der Feier der 600. Wiederkehr der Erweiterung der Schwerter Stadtrechte durch Graf Diedrich von der Mark im Jahre 1397. Der Bericht erschien 1997, als Vorabdruck, in den Hohenlimburger Heimatblättern und wird von der "AS Aktive-Senioren" inhaltlich unverändert übernommen.

Große Unsicherheit herrscht bis heute über den Zeitpunkt, wann Schwerte befestigt wurde. Unbestreitbar ist jedoch die Tatsache, daß Schwerte schon vor 1397 eine Befestigung, bestehend aus Mauer und Grabenring, besaß. So wird bereits 1393 in einem Antwortschreiben der beiden Vormünder und Rechtsvertreter des noch minderjährigen Stadtherrn Johann Sobbe, Heinrich III. v. Gemen und Diedrich I. v. Hörde zu Störmede, an die Stadt Dortmund, eindeutig die Stadtmauer erwähnt1). Ferner kündet auch der Text IV des Schwerter Privilegienbuches2), der die ältesten Schwerter Stadtrechte enthält, von der Existenz eines vollständigen Befestigungsrings, mit Mauern, Toren und Gräben, in der zweiten Hälfte des 14. Jhdts. Wir können daher davon ausgehen, daß die Stadt in dieser Zeit schon befestigt war und nicht erst nach der Privilegienerweiterung befestigt wurde, wie man bisher annahm.

Dieser Befestigungsring, der sich noch heute im Straßennetz der Stadt abzeichnet, wird besonders im Urkataster von 1827 gut sichtbar, obwohl er zu diesem Zeitpunkt nur noch in Resten vorhanden war, da bereits 1818/19 die Mauer abgetragen wurde, um mit dem so gewonnenen Steinmaterial, die sumpfigen Straßen der Stadt zu pflastern3).

Wenn wir auch über den Verlauf des Schwerter Befestigungsrings gut unterrichtet sind, so besteht doch über seine Beschaffenheit große Unklarheit, wie ich anhand des Westf. Städteatlas feststellen konnte. Ich habe daher den Versuch unternommen, unter Berücksichtigung des Kartographischen Materials, der Auswertung alter Photographien, sowie nach den Ergebnissen von Flurbegehungen, den Festungsring Schwertes zu rekonstruieren.

Folgende Unterlagen standen mir zur Verfügung:

  1. Karte der städtischen und patrimonialen Grundstücke in Schwerte von 1796 mit dem Befestigungsring der Stadt. Orig. im StASchwerte.

  2. Das Urkataster Blatt Schwerte von 1827, Maßstab 1 : 2500.

  3. Deutsche Grundkarte Blatt Schwerte von 1984, Maßstab 1 : 5000.

  4. Situationsplan des Ruhrtales zwischen Schwerte und Haus Ruhr/Lappenhausen von ca. 1720. Repro im StASchwerte, Orig. verschollen. Darin Skizze des Stadtpanoramas von Südosten.

  5. Stadtansicht Schwertes von Südosten, ca. 1740. SW-Dia im StASchwerte, Original verschollen.

  6. Kopie des Entwurfsplanes der Umgehungsstraße Süd vom 26.11.1912. Maßstab 1 : 500.

  7. Diverse Photographien von 1900-1930.

Bevor wir uns mit der eigentlichen Stadtmauer - dem Wall - beschäftigen, welcher sich noch heute in den Straßennamen "Nordwall, Westwall und Südwall" erhalten hat, müssen wir über den ihm vorgelagerten "Stadtgraben", als Annäherungshindernis, Klarheit gewinnen.

Zum Verständnis des folgenden Textes nutze der Leser die hier abgedruckten Arbeitskarten des Verfassers (Abb. 1 und 2), mit der dazu gehörigen Legende.
Abb. 1 Arbeitskarte des Verfassers nach dem Urkataster von 1827, mit der Einzeichnung des Befestigungsrings nach der Karte von 1796. Maßstab 1:3155. Abb. unmaßstäblich.
Abb. 2 Arbeitskarte des Verfassers nach der Deutschen Grundkarte von 1984, mit dem Verlauf des Befestigungsrings im heutigen Stadtbild. Maßstab 1:3155. Abb. unmaßstäblich.

ÜB = Ülmkebach
AII, BI, BIII, BIV = nachgewiesene Stauteiche
A, AI, AIII, AIV, BII, BV, BVI = vermutete Stauteiche
B1, B2, B4, B5 = nachgewiesene Staustufen
A1, A2, A3, A4, A5, B3, B6, B7 = vermutete Staustufen
KA = heutige Kläranlage
VG = nachgewiesener Vorgraben
V1 = nachgewiesene Vorgrabenstaustufe
NW = Nordwall
WW = Westwall
SW = Südwall
BT = Brücktor
OT = Ostentor
WT = Westentor
HT = Hüsingtor
AM = Alte Mühle, vor 1740
NM = Neue Mühle, nach 1740
MS = Mühlenstrang
MG = Mühlengraben
NS = Nordstraße
1 = Altstadtkern, die ehem. Xantener "curtis principalis swerte"
2 = St.-Victor-Kirche und Kirchhof
3 = Haus Schwerte, verm. ehem. der Sitz des xantener "villicus" oder Schultheißen
4 = Burghof "Helle", 1964 abgebr., verm. früher der Zentralhof des märk. Hofesverbandes Schwerte-Halingen
5 = Ehem. Luth. und Ref. Pastorate
6 = Ehem. Weidenhof, heute Wuckenhof. Verm. das ehem. Wirtschaftsgut (Wideme, Wedeme) der Pfarrei. Seit 1573 Sitz der Herren v. Syberg a. d. Hause Wischlingen
7 = Heutige ev. Diakonie
8 = Hellpothstraße
9 = Ostenstraße
10 = Alter jüdischer Friedhof im Stadtgraben. Bestand noch 1908.
11 = Heutiger jüdischer Friedhof

Dieser Graben, der die Stadt hufeisenförmig umgab, war nach den Feststellungen des Verfassers ein ausgeklügeltes System von aufeinanderfolgenden, abgetreppten Stauteichen, die letztlich an zwei Stellen, östlich der "Helle"(4), und hinter der "Neuen" Schwerter Mühle (NM) in den Mühlenstrang entwässerten. Wie eine Grabung des Westf. Amtes für Denkmalpflege, Außenstelle Olpe, Anfang der 90er Jahre ergab, wurden im Grabenbereich zwischen Nordwall und dem Ruhrtalgymnasium (AII) eindeutig Faulschlammschichten angeschnitten, wodurch die Existenz eines stehenden Gewässers an dieser Stelle erwiesen ist. Von den Staustufen der Teiche lassen sich einige kartographisch nachweisen. Andere sind, oder waren bis zur Jahrhundertwende, noch als Abtreppungen im Gelände sichtbar.

Die natürliche Basis des Stadtgrabens war im Norden die Erosionsrinne des Ülmkebaches (ÜB), deren Verlauf die heutige Goethestraße, der Spielplatz zwischen dem Nordwall und dem Ruhrtalgymnasium (AII) und die anschließende sog. "Pferdekämpers Wiese" (AIII), markieren. Im Südwesten war es die Erosionsrinne eines namenlosen Baches zwischen Südwall und Ruhrstraße, welche vermutlich am Westwall ihren Anfang nahm. Zwischen beiden Rinnen wurde, längs des Nordwalls, eine künstliche Verbindung geschaffen, als deren Rest der heutige erhaltene Teil des jüdischen Friedhofs am Nordwall anzusprechen ist.

Abb. 3 Rekonstruktion der Staustufe B1 (Nordwall Nr. 7) Durch die Anlage von zwei Stauwehren, einmal zwischen Nordwall und dem heutigen Neumarkt (A1)4), sowie auf Höhe des Hauses Nordwall Nr. 7 und der heutigen städtischen Toilettenanlage (B1) (siehe Abb. 3), wurde der Ülmkebach aufgestaut und dieses Grabenstück geflutet. Dieser so gebildete "oberste Stauteich" (A) entwässerte verm. durch die Überläufe beider Stauwehre in zwei Richtungen über die Stauteiche (AI), im Bereich des heute höher gelegten Parkplatzes am Ruhrtalgymnasium. Dieser, aufgrund des hier starken Gefälles der Senke nur kurze Stauteich, im Volksmund früher auch als das "Loch" bekannt, entwässerte über die durch einen kartographisch nachgewiesenen Turm gesicherte Staustufe (A2) in den Stauteich (AII). Er umfaßte einst das Gelände des schon genannten Kinderspielplatzes zwischen Nordwall und RTG, dessen Stauwehr (A3) vermute ich nach dem Urkataster auf Höhe des Hauses Nordwall Nr. 18. Den folgenden Stauteich (AIII) welcher mit dem Restteil von Pferdekämpers Wiese identisch ist, begrenzte die Staustufe (A4), die ich im Knickwinkel des Nordwalls orte. Der anschließende Stauteich (AIV) diente dem Schutz des Ostentores, dem Haupttor der Stadt, durch welches der Verkehr in Richtung Hellweg, Dortmund und Unna geführt wurde. Dessen Staustufe (A5) lag vermutlich auf Höhe des Hauses Hellpothstr. Nr. 24, da dessen Vorgängerbau eindeutig auf den Resten eines nach außen vorspringenden Mauerturms errichtet wurde, welcher höchstwahrscheinlich dem Schutz des Stauwehres diente. Eine weitere Staustufe (A6) ist nicht mehr erschließbar, könnte aber durchaus vorhanden gewesen sein. Nach meiner Meinung ist davon auszugehen, daß zumindest ein Teil der Stauwehre durch Mauertürme gesichert wurde, da diese Wehre im Falle eines Angriffs eine Annäherungshilfe an die Stadtmauer für den Gegner darstellten.

Kehren wir nun zum obersten Stauteich (A) zurück. Über dessen westliches Stauwehr (B1), welches sich noch in der Karte von 1796 (Titelbild) abzeichnet, und das verm. auch durch einen Turm gesichert wurde, strömte das Wasser in den erheblich tiefer gelegenen Spitzgraben des sog. "Feuerteiches" (BI). Dieser folgte in nahezu rechtem Winkel dem scharfen Knick des Westwalls, bis zum Stauwehr (B2), auf Höhe des heutigen Hauses Wilhelmstr. Nr. 34. Dieser, noch bis um die Jahrhundertwende geflutete Teich, wurde zusätzlich noch durch unterirdische Quellen gespeist, welche noch heute reichlich Wasser fördern, wie beim Neubau des Hauses Teichstr. Nr. 8 leidvoll festgestellt wurde. Der folgende Stauteich (BII) diente wiederum dem Schutz des Westentores. Sein Stauwehr (B3) befand sich anscheinend knapp unterhalb des Tores, etwa auf Höhe des Eingangs der heutigen Polizeiwache am Südwall und ist heute noch als Geländestufe erkennbar. Der nächste Stauteich (BIII) umfaßte verm. das gesamte Areal des heutigen Spielplatzes zwischen Ruhrstraße und Südwall und wurde durch das Wehr (B4) aufgestaut. Es befand sich auf Höhe des Parkplatzes der Turnhalle Pestalozzischule und ist ebenfalls in der Karte von 1796 deutlich nachweisbar. Dieser Teich füllte verm. die gesamte Breite zwischen Ruhrstraße und Südwall. Nach der genannten Karte war 1796 noch ein Restteil geflutet. Im Urkataster von 1827 ist er nicht mehr nachweisbar. Aufgrund des starken Geländeabfalls war der folgende Stauteich (BIV) nur von geringer Länge und entwässerte über das Stauwehr (B5)5), unmittelbar hinter der genannten Turnhalle, in den Bereich der heutigen Kläranlage. Hier verlieren sich die Spuren. Ein weiteres Wehr ist nicht mehr zu erschließen. Wegen der noch zu großen Höhendifferenz zum Pegel des Mühlenstrangs müssen jedoch noch zwei Staustufen (B6 und B7) vorhanden gewesen sein. Wie uns die Karte von 1912 zeigt, erfolgte damals der Abfluß über einen Graben, parallel zum Stauwehr B5 in Richtung Südwall und folgte ihm, ehe er sich hinter der Mühle mit dem Entwäss erungsgraben der Mühlenstraße vereinigte und in den Mühlenstrang mündete.

Wie man auf der Karte von 1796 deutlich sehen kann existierte damals noch, von der Hüsingstraße bis zum Knickwinkel des Feuerteiches (BI) am Westwall (WW), ein Teilstück des dem Feuerteich vorgelagerten, ehemals gefluteten Vorgrabens (VG), dessen Überlaufwehr (V1) im Knickwinkel des Grabens die Karte noch zeigt. Ich nehme an, daß dieser Vorgraben einst die gesamte, besonders gefährdete Nord- und Westseite der Stadt, zusätzlich sicherte und, entweder durch den Ülmkebach selbst, oder durch den obersten Stauteich (A) gespeist wurde.

Über die Höhe der Pegelstände der einzelnen Stauteiche können wir nur Vermutungen anstellen.

Ausgehend von den heutigen Höhenmeßpunkten im Stadtgebiet ergibt sich für den Pegel des obersten Stauteiches (A) eine Höhe von ca. 114,0 m über NN. Bei der Teichkette A - AV betrug die Höhendifferenz bis zum Mühlenstrangpegel MS1 = 104,0 m exakt 10 m. Bedingt durch den tieferen Pegel des Mühlenstrangs unterhalb der neuen Mühle (NM), MS2 = 102,0 m, welche vermutlich an einer natürlichen Gefällestrecke des Mühlenstrangs (Stromschnelle) angelegt wurde, waren es für die Teichkette A - BVI genau 12 m Höhenunterschied. Für die Teichkette A - AIV ergäbe sich folgendes Bild: Bedingt durch die Höhe des Straßenplanums der Ostenstraße am Ostentor von rund 107 m ü. NN kann der Pegel des Teiches AIV maximal bei 106 m gelegen haben. Hierdurch ergibt sich für die Staustufen A1 - A5 eine durchgängige Abtreppung von je 2 m.

Abb.4 Abtreppungsschema und Pegelstände der Teichketten A und B. Höhenmaßstab 1:500. Bei der Teichkette A - BVI sahen die Verhältnisse anders aus. Wenn wir annehmen der Pegel des "Feuerteiches" (BI) hätte ebenfalls 2 m unterhalb des Pegels von Stauteich A gelegen, so stand sein Pegel an der Staustufe B2 bei 112,0 m ü. NN. Aufgrund des geringen Geländeabfalls bis zum Stauwehr B3 können die Teiche BI und BII6) maximal nur je 1,5 m abgetreppt gewesen sein. Wegen des ab Staustufe B4 einsetzenden starken Gefälles müssen wir davon ausgehen, daß die Pegel der Teiche BIV und BV jeweils um 2 m abgetreppt waren. Von BV zu BVI waren es verm. wieder 1,5 m. Zwischen dem Pegel des letzten, durch das Wehr B7 gebildeten Stauteiches (BVI), bis zum Pegel des Mühlenstrangs (MS2 = 102,0 m), fehlten nunmehr noch 2 m. Es ist nicht mehr festzustellen, wo die Wehre B6 und B7 gelegen haben und wie die Einlaufsituation in den Mühlenstrang geregelt war, da in diesem Bereich durch den Bau der Kläranlage (KA) das Terrain vollständig umgestaltet wurde. Zur Erläuterung des Textes siehe das hier abgedruckte Diagramm des Abtreppungsschemas und der Pegelstände der Teichketten A und B (Abb. 4).

Abb. 5 Schematischer Schnitt durch eine Staustufe mit doppelter Holzpfostenspundwand. Maßstab 1:50. Abb.  unmaßstäblich. Zur Frage der Konstruktion der Stauwehre kann nur der Spaten des Archäologen die Antwort bringen. Nach meiner Ansicht kann es sich durchaus um doppelte Holzpfosten-Spundwände gehandelt haben, deren mögliches Konstruktionsschema die hier abgebildete Zeichnung zeigt (Abb. 5). Bei den 2 m hohen Staustufen könnte zusätzlich das Winkelstück, zwischen Spundwand und der Stützstrebe, mit einer Packlage aus Steinen verfüllt gewesen sein.

Wenden wir uns nun der eigentlichen Stadtmauer zu.

Ausgehend von der Bezeichnung des Mauerrings als "Wall", stellte sich die Frage: Haben wir es mit einer freistehenden Mauer, oder wie im Falle von Dortmund, Soest und Hattingen, mit einer Mauer und hinterschüttetem Erdwall, bzw. einer hohen Außen- und einer niedrigeren Innenmauer, mit dazwischenliegender Erdfüllung zu tun? In der Karte von 1796 ist die damals noch existente Stadtmauer als Doppellinie eingezeichnet (siehe Titelbild). Nachdem ich diese Karte in den Maßstab des Urkatasters übertragen hatte (Vergrößerung einer Transparentkopie), ergab sich für die Mauer umgerechnet eine Stärke von 4-5 m. Obwohl die Karte einige Winkelfehler und sich daraus ergebende Längenfehler aufweist, so sind doch Westen-, Osten- und Brücktor an der richtigen Stelle vermerkt. Einzig das Hüsingtor ist zu weit ins Stadtinnere verschoben, befindet sich aber fast auf der richtigen Achse. Größte Übereinstimmung mit dem Urkataster besitzt die Karte jedoch in der Darstellung des Mauerverlaufs längs des Mühlenstrangs, etwa von Höhe des Hauses Mühlenstraße Nr. 1, unter Einschluß des Brück- und Ostentores, bis hinauf zum Knick des Nordwalls an der Staustufe A4. Dieses Segment läßt sich paßgenau in das Urkataster einklinken. Ich vermute daher, daß somit auch die Mauerstärke von dem Kartographen richtig wiedergegeben wurde. Danach spricht alles für eine Wallmauer.

Es stellte sich nunmehr die Frage: Läßt sich eine solche Wallmauer noch heute im Bereich der Unterstadt nachweisen?

Der + Heimatforscher Heinrich Maag identifizierte einst die Mauer längs des Südwalls, unterhalb der Staustufe B5, welche den Südwall gegen die stadteinwärts liegende Wiese abgrenzt, als einen Rest der alten Stadtmauer. Hier irrt Maag jedoch. Sie ist nach Ausweis des Mörtels und der geringen Stärke von knapp 50 cm, eindeutig neuzeitlichen Ursprungs. Sie ruht aber auf einem etwas breiteren Mauersockel, dessen Versprung noch gut sichtbar ist, und nach Meinung des Verf. erheblich älter zu sein scheint.

Abb. 6 Unmaßstäbliche Befundskizze des Südwalls. Schnittzeichnungen mit möglichen Ergänzungen. Wie uns zwei Aufnahmen des Südwalls von ca. 19007) und 19268) deutlich zeigen, besaß der Südwall an seiner Außenseite, zwischen Westentor und der Mühle (NM), eine vorgesetzte, heute nicht mehr vorhandene Mauer, welche der Verfasser für die Überreste der eigentlichen Stadtmauer hält. Danach besaß der obere Südwall keine Wallanschüttung sondern nur einen Terrassenabstich zum Stauteich BIII mit einer vorgesetzten, das Planum vermutlich um ca. 3 m überragenden Mauer mit Schießscharten. Der untere Südwall dagegen, ab der Staustufe B5, besaß einen hinterschütteten Erdwall mit stadteinwärtiger Stützmauer. Ich habe hier beide Befunde im Schnitt einmal darzustellen versucht (Abb. 6). Die genauen Maße dürften erst durch eine Grabung zu ermitteln sein.

Nach diesen Befunden hätten wir es im Bereich der Unterstadt offensichtlich mit einer Wallmauer zu tun, die wie ein Deich die gefährdete Unterstadt vor den alljährlich auftretenden Ruhrhochwassern schützte. Nun stellte sich die Frage: Lassen sich für eine solche Wallmauer auch an anderer Stelle Indizien oder Beweise finden?

Wie die Grabung des Westf. Landesamts für Denkmalpflege Anfang der 90er Jahre ergeben hat, so ist die Terrassenmauer längs des Nordwalls, im Bereich der Stauteiche AI, II und III, welche bis Dato auch für einen Teil der alten Stadtmauer gehalten wurde, eindeutig neuzeitlichen Ursprungs. Spuren der mittelalterlichen Stadtmauer wurden nicht gefunden.

Die Schwerter Zeitung berichtete jedoch schon am 20. Februar 1944 über die Entdeckung von Mauerresten in der Mündung der Nordstraße in den Nordwall. Bei der Anlage einer Abwasserleitung stieß man in etwa 5 m Abstand zur Terrassenmauer des Nordwalls, in 1,30 m Tiefe, auf zwei parallele Mauerfundamente, deren Stärke mich überraschte. Der Äußere Mauerzug besaß eine Stärke zwischen 2,25 und 2,55 m.

Abb. 7 Unmaßstäbliche Befundskizze Nordstraße (N5), Ecke Nordwall (NW). Nach dem Bericht der Schwerter Zeitung vom 20.2.1944 In 3 m Abstand dazu verlief die zweite Mauer in einer Stärke von 1,80 m. Ich habe den Befund einmal in einer schematischen Zeichnung dargestellt (Abb. 7). Die von G. Hallen geäußerte Vermutung, daß wir es hier möglicherweise mit den Fundamenten des in der Karte von 1796 dargestellten Turmes zu tun haben, konnte ich nicht teilen, da dieser eindeutig der Staustufe A2 zuzuordnen ist. Wenn wir davon ausgehen, daß auch die Staustufe A1 durch einen Turm gesichert wurde, der demnach nur wenige Meter oberhalb gestanden haben müßte, so ist ein Turm an dieser Stelle völlig sinnlos. Leider ist eine klärende Grabung bis heute unterblieben.

Somit ergeben sich zwei Alternativen: 1. Einer älteren Mauer wurde in späterer Zeit eine ungleich stärkere Mauer vorgebaut. 2. Beide sind gleicher Zeitstellung, womit die Existenz einer gewaltigen Wallmauer am Nordwall möglich wäre.

Für die erste Variante spricht eine Urkunde von 1558, in welcher ein Grundstücksverkauf zu Gunsten des Neubaus der Mauer "umb dat Husing-, Westen- und Oistentor" bezeugt ist9). Ich nehme an, daß es sich hierbei nur um eine Reparatur der Mauer im Bereich der Tore gehandelt haben muß, da einerseits ein völliger Neubau zu diesem Zeitpunkt äußerst ungewöhnlich wäre, andererseits hätte ein solches "Jahrhundertprojekt" mit Sicherheit Niederschlag in etlichen Dokumenten finden müssen. Sollte sich jedoch die Variante 2 bewahrheiten, so erstaunt die Mächtigkeit der Befestigung, wie sie selbst der Verf. nicht erwartet hätte. Vielleicht kann hier der Spaten der Archäologen Klarheit bringen.

Zur exakten Lokalisation des Mauerrings der Stadt sind folgende Feststellungen zu treffen:

  1. Der Verlauf der heutigen Nordwallmauer, von der Staustufe A1 bis A4 am Knickwinkel oberhalb des Ostentores, wie auch die Darstellung im Urkataster, entspricht nicht dem Verlauf der mittelalterlichen Stadtmauer in diesem Abschnitt. Wir müssen sie daher unter dem heutigen Nordwall suchen.

  2. Der weitere Lauf des Nordwalles in Richtung Hüsingtor, und der des anschließenden Westwalls, wie auch des Südwalls, stimmt mit dem Urkataster überein.

    Wie uns der Lobgesang des Johann Starcke von 158410) mitteilt, müssen in der Mauer einige Türme gestanden haben. Kartographisch nachweisbar sind:

  3. Der Quaderturm an der Staustufe A2.

  4. Der Rundturm am Hüsingtor

  5. Der Rundturm im Knickwinkel des Westwalls.

Archäologisch nachgewiesen ist der Turmrest Hellpothstr. Nr. 24, welcher beim Abbruch des Hauses in den 30er Jahren entdeckt wurde, bzw. dessen Sockel das Erdgeschoß des besagten Hauses bildete.

Die in der Karte von 1796 dargestellten Toranlagen des Westen- und Ostentores sind aus befestigungstypologischen Gesichtspunkten nicht als Doppeltürme, sondern als Gebäude zu interpretieren, welche ursprünglich die vorspringenden Tortürme flankierten (Wachhäuser?). Aufgrund der geringen Dimensionen des Brücktores vermute ich ein rückspringendes Torhaus, von dem 1796 nur noch die beiden die Tordurchfahrt flankierenden Untergeschosse existierten.

Alle bislang festgestellten Befunde hat der Verf. in seine Arbeitskarte im Maßstab 1:3155, basierend auf dem Urkataster, eingetragen (Abb. 1). Den Verlauf des Befestigungsrings im heutigen Stadtbild zeigt die nebenstehende, maßstabsgleiche Arbeitskarte (Abb. 2), basierend auf der Deutschen Grundkarte im Maßstab 1:5000.

Wenden wir uns nun den Toranlagen der Stadt zu.

Abb. 8 Graphitpause der Stadtansicht von 1720. Original verschollen. Farbkopie im StASchwerte.

Abb. 9 Graphitpause der Stadtansicht von 1740. Original verschollen. Schwarzweiß-Dia im StASchwerte.
Unter Berücksichtigung der bisherigen Ausführungen zum Verlauf und der Beschaffenheit der Wallmauer längs der Südostfront (Mühlenstrang) verraten uns die beiden groben Stadtansichten des 18. Jhdts. erstaunlich viele Einzelheiten. So zeigt die Ansicht von 1720 (Abb. 8) noch die erhaltene mittelalterliche Kastenvortoranlage des Brücktors, mit dem dahinter auf gleicher Achse liegenden Torhaus, welches wir uns mit dem Kastenvortor verbunden vorstellen müssen. In dieser Zeichnung verläuft der Mühlenstrang, oder besser der Mühlengraben, vom Kastenvortor bis zur Mühle, unmittelbar vor der Stadtmauer. Deutlich sichtbar ist der Durchfluß des Mühlengrabens unter dem Kastenvortor. Diese Darstellung entspricht jedoch nicht den tatsächlichen Gegebenheiten. Wie uns die Karte von 1796 und das Urkataster von 1827 eindeutig belegen, verlief damals der Mühlenstrang in diesem Abschnitt ein gutes Stück weit von der Mauer entfernt. Nach dem maßstäblichen Vergleich beider Karten mit der Deutschen Grundkarte von 1984 ist sein heutiges Bett mit dem von 1796 nahezu identisch. Danach hätte der Mühlenstrang richtigerweise vor dem Kastenvortor verlaufen müssen, wie es die "ehemalige Uferlinie" in der Ansicht von 1720 vermuten läßt, und wie es auch in der Ansicht von 1740 (Abb. 9) richtig dargestellt ist.

Zwangsläufig muß aber auch der Mühlengraben unmittelbar vor der Stadtmauer existiert haben. Dies macht eine Nachricht bei v. Steinen wahrscheinlich. Danach wurde die 1720 abgebildete Mühle erst 1740 bzw. 1742 an der bezeichneten Stelle "vor der Stadt" erbaut. Bis dahin lag sie "innerhalb der Stadt am Brücktor"11). Ich halte es für wahrscheinlich, daß die Radwellen der unterschlächtigen, strömungsbetriebenen Wasserräder durch die Mauer geführt wurden um die Mahlwerke anzutreiben.

Als ehemaliges Mühlengebäude identifiziere ich das heutige Haus Mühlenstr. Nr. 1, oder dessen Vorgängerbau (AM). Nach der in das Urkataster eingepaßten Wallmauer der Unterstadt springt dieses, das Torhaus des Brücktores flankierende Gebäude, in die Wallmauer ein, vermutlich um die Länge der Radwellen zu verkürzen.

Somit hat man nach der Verlegung der Mühle an ihren jetzigen Standort nicht den Mühlenstrang, sondern den Mühlengraben vor der Mauer zugeworfen, um die Fließgeschwindigkeit des Wassers zu erhöhen. Die Zeichnung von 1720 zeigt daher nicht den realen Zustand, sondern ist als ein Vorschlag des Zeichners zu werten, welcher 1740/42 in abgewandelter Form verwirklicht wurde.

Die tatsächlichen Gegebenheiten vermittelt uns die Zeichnung von 1740. Der Mühlengraben vor der Mauer, als auch das Kastenvortor sind nicht mehr vorhanden. Anstelle der ehem. Zugbrücke des Vortores überspannt nun eine hölzerne Brücke den Mühlenstrang, deren Standort gleich der heutigen Brücke sein dürfte. Von dem Torhaus ist nunmehr nur noch das Untergeschoß mit der Tordurchfahrt existent.

Abb. 10 Rekonstruktion des Brücktores. Wie man sich die ursprüngliche Konstruktion des Brücktores mit der "Alten Mühle" vorstellen könnte gibt meine Zeichnung wieder (Abb. 10).

Das bedeutendste und größte Tor der Stadt war das Ostentor. Dieses passierten alle ankommenden und abgehenden Fuhrwerke aus - oder in Richtung Dortmund, Unna und den östlichen Hellwegraum. Vor dem Ostentor, vermutlich auf Höhe der Wolfsgasse, mündete auch die südöstliche Umgehungsstraße, über welche der Durchgangsverkehr von und nach Iserlohn geführt wurde. Er berührte die Stadt nicht, sondern folgte der Straße vom Brücktor längs des Mühlenstrangs, heute die Straße zu den Parkplätzen auf dem Gelände des ehemaligen Sägewerks Haver, und passierte den Mühlenstrang auf einer Brücke, etwa auf Höhe des alten Lyzeums (Ostenstr. Nr. ?). Diese Brücke ist auf beiden Zeichnungen dargestellt, ebenso die Zollschranke an welcher die Maut erhoben wurde (siehe hierzu Abb. 11).

Abb. 11 Karte des Ruhrübergangs bei Schwerte und das mittelalterliche Straßennetz. Nach der topographischen Uraufnahme von 1839/40 und dem Situationsplan des Ruhrtales von 1720.
In der Ansicht von 1720 ist auch der walmgedeckte, vorspringende Ostentorturm, wie auch das ihn flankierende südöstliche Haus dargestellt. Nach der Zeichnung von 1740 besaß der Turmhelm anscheinend noch einen Dachreiter. Das sicher ursprünglich vorhandene Kastenvortor existiert schon in der Zeichnung von 1720 nicht mehr. Ein ungefähres Bild der Ostentoranlage vermittelt meine Rekonstruktionszeichnung (Abb. 12).

Abb.12 Rekonstrukion des Ostentores mit den Staustufen A3. A4 und A5.
Etwas ist noch zu bemerken. Nach meiner These kann die Hellpothstraße (8) ursprünglich keine Anbindung an die innerstädtische Ostenstraße (9) besessen haben, da sie von der Wallmauer überdeckt wurde. Der Burghof Helle (4) grenzte demnach mit seinem Hofesareal unmittelbar an die Wallmauer. Erst nach dem Abbruch der Stadtmauer und der Ostentoranlage konnte diese Anbindung geschaffen werden, durch welche die südöstliche Umgehungsstraße überflüssig wurde.

Ähnlich wie das Ostentor muß auch das Westentor beschaffen gewesen sein. Auch hier können wir wieder, nach der Karte von 1796, einen durch zwei Gebäude flankierten Torturm voraussetzen (Abb. 13). Dass alle vier Schwerter Stadttore einst einfache Kastenvortore mit Zugbrücken besaßen dürfte sicher sein.

Abb. 13 Rekonstruktion des Westentores mit den Staustufen B2 und B3.
Besondere Probleme bereitet eine Rekonstruktion des Hüsingtores an der besonders gefährdeten Nordwestseite der Stadt (Abb. 14). Hier deutet alles auf eine Zerstörung der ursprünglichen Toranlage und einen Neubau in veränderter Form hin. Dies läßt zumindest die Existenz eines die Tordurchfahrt flankierenden Rundturmes, sowie die integrierte Kapelle "St. Beata virginis" vermuten, welche außerdem noch den "14 Nothelfern" geweiht war12). Die Rekonstruktion ist daher nur unter Vorbehalt zu betrachten.
Reinhold Stirnberg